Dieses Sauerteigbrot wurde vor 5000 Jahren in einer Seeufersiedlung am Bieleree in einem Backofen gebacken.
Um diesem Brot begegnen zu können musste ich es erst erschaffen. Nur so konnte ich die Geschichte und das Wesen dieses Brotes erkunden.
Den immensen Zeitraum von 5000 Jahren wollte ich durchmessen, diese Dimension erfassen. Ich habe dazu die sichtbare Zeitspur am Brot von Twann benutzt. Die Zeit die verstrichen ist von seiner Herstellung bis heute hat beim Brot eine Schrumpfung von 10 cm verursacht. 5000 Jahre werden sichtbar im Verlust von 10 cm Brot.
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Mit 10 Broten von Twann im Kosmos von 5000 Jahren
Zeiterfahrung und Schrumpfungprozess des Twanner Brotes
Das Twanner-Brot ist in den Jahren 3560 / 3530 v. Chr. bis ins Jahr 2020 vom ursprünglichen Durchmesser von 17cm auf 6-7,5cm geschrumpft. Das bedeutet: 10 cm Schrumpfung innert 5000 Jahren. Um das unvorstellbare Alter des kleinen Brotes von Twann und seine Zeitreise bis heute erfassen zu können, habe ich zehn Brote – entsprechend der Schrumpfung – an zehn Tagen gebacken. Die kontinuierliche Schrumpfung habe ich mittels Reduktion der Teigmasse nachempfunden.
Ganz leise ist der Gärungsprozess auch akustisch wahrnehmbar.
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Im Raum steht ein weisses, leicht transparentes Igluzelt. Darauf projiziert wird eine geloopte Videosequenz. Aufnahmen im Makrobereich vom Gärungsprozess des Sauerteigs werden leicht verfremdet auf die weisse Aussenhülle geworfen und verwandeln das alltägliche Zelt in ein amorphes, scheinbar lebendiges Ding. Die Form des Zeltes verweist dezent auf das Endprodukt, nämlich das im Nebenraum ausgestellte Brot. Die mutigen Besucher*inne schlüpfen ins Innere des weichen Runds und lassen sich sozusagen einverleiben von den fleissig arbeitenden, wilden Hefebakterien. Ganz leise ist der Gärungsprozess auch akustisch wahrnehmbar. Andere betrachten das amorphe Ding von aussen und lauschen den leisen Tönen aus dessen Innern. Die Energie, die während des Gärungsprozesses entsteht, wird körperlich wahrnehmbar gemacht und lädt die Betrachtenden ein, sich in diesen faszinierenden, lebendigen und zugleich auch komplexen Prozess hineinzubegeben.
Die 10 Brote von Twann archiviert
Wie konnte sich das Brot von Twann so lange, so gut erhalten?
Die Erhaltungschance für organisches Material wie Pflanzenreste und alltägliche „Abfälle“ (Knochenreste, Getreidebrei, Brotkrümmel etc.) sind im feuchten Milieu von Seeufern und Mooren besonders günstig: Das Material wird in ihrer ursprünglichen Form unter Luftabschluss in Sedimenten abgelagert, die während tausenden von Jahren im Grundwasserbereich liegen. Das ist ein perfektes Klima vor allem für organisches Material, bei Knochen ist der Unterschied weniger bedeutend. In Mineralböden bleiben organische Reste (fast) nur in verkohltem Zustand erhalten. Daher sind die Fundorte an Ufersiedlungen in der Schweiz so zahlreich und ergiebig.
Die 10 Brote als archäoloigische Objekte
1976 machen Archäologen bei Grabungen am Bahnhof in Twann einen europaweit einzigartigen Fund. Zwischen Pfahlbauten, Knochen und Pfeilspitzen finden sie ein intaktes Sauerteigbrot. Es weist alle Eigenschaften eines heutigen Brotes auf. Der entscheidende Unterschied: Dorfbewohnerinnen backten es vor rund 5500 Jahren in einer jungsteinzeitlichen Ufersiedlung.
Als Ergänzung zum gebackenen Objekt wird eine zusätzliche ‚klassische‘ Dokumentationsmethode eingesetzt, die hauptsächlich bei archäologischen Fundobjekten angewendet wird. Die zehn Brote werden mit der gleichen Wertschätzung, die auch ein archäologisches Objekt erhält, behandelt. Sie werden akribisch genau, von allen Seiten in Aufsichten und Schnitt gezeichnet. Die Massstäblichkeit, sowie die reduzierte Zeichnungsweise in schwarzer Tusche erlaubt es, die zehn Brote zu vergleichen und eine Art Typologie zu erstellen.
Das Brot als etwas Vergängliches wird objektiviert und von seiner pragmatischen Bestimmung, nämlich gegessen zu werden, losgelöst. Handelt es sich hier um ein Artefakt? Gar einen wertvollen Zeugen aus der Vergangenheit? Sehen wir uns in die Zukunft versetzt und schauen mit den Augen der Archäologie auf unser Jetzt zurück.
Textinstallation
Was unterscheidet der Eingriff in einen Sauerteig, um seinen Prozess in die Richtung eines Lebensmittels zu drängen vom Eingriff der heutigen Brotherstellung, in welcher gerade diese Prozesse verkürzt, gar überflüssig gemacht werden? Wird damit der menschliche Organismus mitgequält? Mitbeschädigt? Wird auch ihm der Raum der Ausdehnung und Entwicklung genommen?
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Die Staatsgründung ist eine der wichtigsten Umgestaltungen und damit der Beginn der Steuereintreiber und der Stadtmauern. Der Eingrenzung und der Ausgrenzung. Der Kontrolle und der Macht. Oder, um es mit D.H. Lawrence zu sagen: »Letztlich beugen die Menschen das Haupt vor dem oder denen, die es vermögen und wagen, die Speicher, den Brotvorrat, die Reichtümer zu konfiszieren, um sie wieder unter die Leute zu bringen